Pedanterie

Wenigstens so sehr wie die Wissenschaften auf Innovationen als Entwicklungsmotor der Disziplinen angewiesen sind, beruhen sie auf der Hegung des Wissens und seiner Pflege, auf Tradierung und Bestandswahrung des Bekannten. Nicht wenige Wissenschaftler befassen sich mit der Wiederholung, Lehre und Paraphrase des Gewussten, wobei ebenfalls spezifische Praktiken der Genauigkeit zur Anwendung gelangen. Innerhalb dieser grossen Gruppe der Bestätiger gibt es eine Position mit einer besonderen Funktion: der Pedant agiert als ein Grenzzieher des kanonischen Wissens und seine Mittel sind die höchste Genauigkeit und Detailversessenheit im Widerstand gegen – aus seiner Sicht – drohende Eindringlinge (z.B. Innovationen) im Fach. Seine Argumente und Einwände gegen neue Thesen sollen die Demarkationen des gesicherten Wissens setzen. Der Pedant steckt die Grenzen ab, jenseits derer das wissenschaftliche Neuland liegt: Gleich einem Kartographen markiert er die Linien einer Topographie des Gewussten, stets argwöhnisch darauf bedacht, jeden Grenzgänger oder fremden Besatzer in die Schranken zu weisen, um das eigene Territorium gegen jeden innovativen und damit störenden Gedanken zu verteidigen.

Dieser Forschungsteil setzt sich bei einem interdisziplinären Zugriff auf die Geschichte der Genauigkeit zum Ziel, das idealtypische Bild des Pedanten kritisch zu hinterfragen. Dazu gilt es Fallgeschichten der Pedanterie zu analysieren, die aus der Geschichte sowohl der Natur- als auch der Geistes- und Sozialwissenschaften stammen, um damit die engen Wechselwirkungen zwischen den Disziplinen ebenso wie die Differenzen der Genauigkeitspraktiken und -Demonstrationen zu beobachten. Erforscht wird hier also weniger die Schmähzuschreibung, der Pedanten in ihrer moralischen Komponente unterliegen. Vielmehr gilt es, mit dem Fokus auf den praktischen Operationen eine strukturelle Grammatik des gelehrten Disputs herauszuarbeiten und zu analysieren. Denn Pedanterie ist in ihrer katalytischen Funktion im Prozess des Erkennens vor allem ein Mittel zum Zweck einer künftigen Einsicht. Dadurch operiert sie als ein Medium der Wissensgenese.