Schrift

Sofortkorrektur und Selbst-Dokumentation

Das Ziel dieses Forschungsteils ist die Rekonstruktion von Textbewegungen der poetischen Ausdrucksgenauigkeit im Hinblick auf zwei kulturgeschichtlich markante Umbruchphasen – der Wende um 1900 sowie der Nachkriegszeit ab 1950. Mithilfe autorspezifischer und poetologischer Analysen gilt es am Material herauszupräparieren, wie individuelle Autoren – sei es publizistischer, poetischer oder wissenschaftlicher Texte – sich »genau« in und zu ihren literarischen Kommunikaten verhalten. Dabei erweist sich Genauigkeit auf verschiedenen Schauplätzen als wirksame Grösse: Im Herstellungsprozess durch Korrekturen und Überarbeitungsvorgänge, im medialen Transfer von Handschrift zu Druckschrift, in der Ausgestaltung literarischer Bedeutungssysteme, in Beschreibungspraktiken und Handlungskonstruktionen, in der Verarbeitung und Implementierung von Quellenmaterialien und hinsichtlich der Rezeption als Steuerung des Transfers von Sinn und Bedeutung. Ziel des Teilprojekts ist es einerseits Praktiken und Verfahren des genauen Schreibens als textgenetisches Moment in seiner Prozessualität nachzuvollziehen, andererseits die ästhetischen Potentiale solcher Formen des Schreibens anhand der Textstrukturen selbst aufzuzeigen.

Das Dissertationsprojekt von Pascal Noirjean fokussiert sich hierbei auf Formen der Sofortkorrektur in der Moderne. Hierfür wird der in der Moderne verfestigte Imperativ der Selbstredaktion als ein Hauptschauplatz von Schriftgenauigkeit ins Zentrum gerückt und anhand von Autoren wie Robert Walser, Franz Kafka und Robert Musil neu konzeptualisiert. Korrekturen lassen sich in deren Werken nicht nur als ein Moment innerhalb der Textgenese nachverfolgen, sondern werden auch proaktiv in die Endfassung der Texte implementiert und erhalten eine eigene ästhetische Wirksamkeit. Diesem revisionistischen Duktus mit seinen permanenten Nach- und Neujustierungen wird in diesem Projekt nachgegangen.

Das zweite Dissertationsprojekt von Lucas Knierzinger rückt Praktiken der Dokumentation ab 1950 ins Zentrum. Dokumentarische Schreibverfahren nutzen einen Gestus von Realitätsnähe und figurierter Unmittelbarkeit, womit Genauigkeit und Authentizität zu zentralen Kategorien werden. Autoren wie Peter Weiss, Peter Handke oder W.G. Sebald weiten das Dokumentarische darüber hinaus auf biographisches Material und die eigenen Schreibprozesse aus. Solche Formen der Selbst-Dokumentation werden hinsichtlich ihrer Verbindungslinien zu einer literarischen Mimesis des Genauen untersucht. Leitend ist dabei die Idee, dass dokumentarische Texte stets mit dem Bruch zwischen Faktischen und Fiktivem arbeiten und als Schreibmoment akzentuieren, um dadurch den eigenen Anspruch auf Zeugenschaft und Genauigkeit zu thematisieren und zu hinterfragen.